
Paul Pommayrac (1838) |
Niccolò Paganini
* 27. 10. 1782 zu Genua, + 27. 5. 1840 zu Nizza; italienischer Violinist und Komponist, Sohn eines unbemittelten, musikalisch
veranlagten Kaufmanns, der dem Knaben zunächst Unterricht im Mandolinenspiel erteilte, aber bald ihn besseren Lehrern zuführte,
vor allen dem Violinisten und Domkapellmeister G. Costa in Genua. P. spielte ab 1793 öffentlich, besonders in Kirchenkonzerten;
er war 1796 kurze Zeit Schüler A. Rollas in Parma. G. Ghiretti unterrichtete ihn 6 Monate in der Komposition. P.s Natur war
jedoch so selbständig und eigenartig, daß er trotz seiner Lehrer halber Autodidakt blieb. |
Die Bevormundung durch seinen Vater wurde ihm früh lästig; er entzog
sich ihr durch die Flucht, indem er sich von Lucca, wohin er zu einem Konzert gefahren war, auf die Wanderschaft begab. Der junge
Virtuose hatte bereits noble Passionen, spielte leidenschaftlich Hazard und verlor dabei in Livorno sogar seine Violine, erhielt
aber reichlichen Ersatz durch den französischen Kaufmann Levron, der ihm eine Guarneri-del-Gesü-Geige schenkte, fortan
P.s Lieblingsinstrument bis zu seinem Tode (sie ist jetzt in Genua in einem Glaskasten ausgestellt und wird jährlich einmal
gespielt). Erst 1804 kehrte P. nach Genua zurück, wurde aber schon 1805 in Lucca als Soloviolinist und Kapellmeister
von der Fürstin Bacchiochi, einer Schwester Napoleons, engagiert. Er blieb dort bis 1808; von 1809 bis zu seinem Tode lebte
er ohne Anstellung. 1828 erhielt er vom Kaiser von Österreich den Ehrentitel eines Kammervirtuosen. Unruhig
eilte der immer mehr gefeierte Künstler konzertierend von Stadt zu Stadt und von Land zu Land, nach und nach große Reichtümer
ansammelnd. Nachdem P. zunächst bis 1827 Italien in Ekstase versetzt, in Mailand mit Lafont und in Piacenza mit Lipinski ruhmvolle
Wettkämpfe bestanden hatte, ging er 1828 nach Wien und Deutschland, 1831 über Paris nach London, reiste durch England,
Schottland und Irland, blieb im Winter 1833/34 in Paris, wohin er auch später von seiner Villa Gaiona bei Parma mehrfach zurückkehrte,
sah sich aber infolge seiner schon sehr lange schwankenden Gesundheit 1839 gezwungen, das milde Klima von Marseille aufzusuchen;
den Winter 1839/40, den letzten seines Lebens, verbrachte er in Nizza, wo er nach langem Leiden an Kehlkopfschwindsucht starb.
Er lebte 1815-28 mit der Sängerin Antonia Bianchi zusammen; seinem Sohn Achille P. hinterließ er ein stattliches
Vermögen. Um P.s Leben hat sich ein Kranz abenteuerlichster Legenden gelegt: er habe seine Geliebte ermordet und lange Jahre
im Keller geschmachtet, wo er schließlich, nachdem ihm 3 Saiten gerissen, auf der G-Saite allein zu musizieren gezwungen gewesen
sei. Lehár schrieb auf Grund dieser Erzählungen ein Singspiel. Tatsache ist, daß einige seiner Lebensjahre im
Dunkel liegen, daß er vielerlei Liebesabenteuer hatte und wiederholt in Gefahr kam, ein Opfer der Eifersucht zu werden, daß
er, wenn ihm während des Spiels eine Saite sprang, auf den übrigen allein weiterspielte, und daß er schließlich
das Spiel auf der G-Saite allein als Virtuosenstück kultivierte. Als Violinist vereinte P. alle Eigenschaften,
von denen eine einzige schon einen anderen Virtuosen berühmt zu machen vermag: geniale Auffassungsgabe, Klangzauber, stupende
Technik im Doppelgriff-, Staccato- und Flageolettspiel sowie im Pizzicato mit der linken Hand. Manche scheinbare Unmöglichkeiten,
durch die er die Zeitgenossen in sprachloses Staunen versetzte, erklären sich dadurch, daß er die Saiten seiner Violine
zu besonderen Zwecken umstimmte, also die ehedem sehr beliebte Scordatura wieder pflegte. P. war kein guter Quartettgeiger,
weil er sich keinem Ensemble einzufügen vermochte. Dagegen war P. auch ein virtuoser Gitarrist. Mancherlei Kompositionen, deren
Autorschaft P. selbst ablehnte, sind unter seinem Namen herausgegeben worden. Von seinen Werken erschienen zu
seinen Lebzeiten: 24 Capricci per violino op. 1 (Mailand 1818, Klavierübertragungen von Schumann und Liszt); je 6 Sonate per
violino e chitarra op. 2 und 3 (Mailand 1820); je 3 Gran quartetti a violino, viola, chitarra e violoncello op. 4 und 5 (Mailand
1820); Variationen Nel cor più non mi sento und Duo Merveille für V. solo brachte zuerst C. W. F. Guhr in seinem Lehrbuch
»Über P.s Kunst, die Violine zu spielen« (Mainz 1830, englisch London 1831, französisch Paris 1831). Weitere
gedruckte Kompositionen: für V. und Orch.: Konzert Nr 1 Es dur op. 6 (die Solo-V. spielt mit um einen Halbton hinaufgezogenen
Saiten in D dur), Konzert Nr II La campanella H moll op. 7, Le streghe op. 8 (Variationen über ein Thema von Süßmayr),
Variationen über »God Save the King« op. 9, Konzert-Allegro Moto perpetuo op. 11, Variationen über »Non
piü mesta« op. 12 (aus Rossinis »Cenerentola«), I palpiti op. 13 (Variationen über »Di tanti palpiti«
aus Rossinis »Tancredi«); für V. und Kl.: Les charmes de Padoue (London 1831); für V. solo: 20 Variationen
Il Carnevale di Venezia op. 10; für V.und Gitarre: 60 Variationen durch alle Tonarten über das genuesische Volkslied »Barucabà«
op. 19; sowie für Gesang mit Kl. (auch mit Chor) den Chant patriotique Quel jour heureux zur Thronbesteigung Wilhelms IV. von
England (1830). Ungedruckt blieben zahlreiche Werke für V. solo oder mit Begleitung, die Violinkonzerte III E dur, IV D moll
(1829) und V A moll (nur Solostimme erhalten), Napoléon (Sonate für V. auf der G-Saite mit Orch.) sowie Kammermusik,
darunter weitere Quartette für V., Va, Gitarre und Vc. Themen oder Sätze von P. bearbeketen: Liszt («Etudes d'exécution
transcendante«, »Grandes Etudes« und »Grande Fantaisie de bravoure sur la Clochette«); Schumann (»Studien
für das Pianoforte« op. 3 und 6 »Etudes de concert« op. 10); Brahms (»Studien für das Pianoforte«
op. 35); Casella (Ballett »La rosa del sogno« op. 66, danach Orchester-Divertimento »Paganiniana« op. 65);
Dallapiccola (»Sonata canonica«) und Blacher (»Variationen über ein Thema von P.« op. 26).
Ausg.: Die Zahl der praktischen NA ist unübersehbar. Von neueren Ausgaben seien genannt: Ausgewählte
Kompositionen, hrsg. v. G. KINSKY u. FR. ROTHSCHILD, Wien 1922; 24 Capricen für V. allein, hrsg. v. FL. v. REUTER, Lpz. 1924;
26 Original-Kompositionen f. Gitarre allein, hrsg. v. M. SCHULZ, Lpz. (um 1925); 4 nachgelassene Kompositionen f. V. u. Kl., hrsg.
v. G. KINSKY, Wien (1927); Napoleone, bearb. f. V. u. Kl. v. M. ABBADO, Mailand 1940; P.Manuskripte, bearb. f. V. u. Kl. v. M. KERGL
u. G. v. ALBRECHT, 4 H., Mainz 1952-54; Centone di Sonate l. V. u. Gitarre, hrsg. v. K. JANETZKI, Lpz. 1955. Lil.: G. HARRYS, P.
in seinem Reisewagen u. Zimmer, Braunschweig 1830; G. IMBERT DE LAPHALEQUE, Notice sur le celebre violiniste N. P., Paris 1830,
auch engl.; J. M. SCHOTTKY, P.s Leben u. Treiben ..., Prag 1830, Neudruck Prag 1909; L. F. L'HERITIER, Notice sur le celebre violiniste
N. P., Paris 1830, engl. London 1830; FR. K. J. SCHÜTZ, Leben, Charakter u. Kunst d. Ritters v. P., Ilmenau 1830; L. WEINBERG,
P.s Leben u. Character, Hbg 1830; FR. J. FAYOLLE, P. et Beriot, Paris 1831; FR.-J. FETIS, Notice biogr. sur N. P., Paris 1851, engl.
London 1852, ital. Mailand 1875; G. C. CONESTABILE, Vita di N. P. da Genova, Perugia 1851, neu hrsg. v. F. Mompellio, Mailand 1936;
O. BRUNI, N. P., Florenz 1873, Neudruck 1903; A. NIGGLI, N. P., Lpz. 1882; ST. S. STRATTON, N. P., London 1907; J.-G. PROD'HOMME,
P., Paris 1907, engl. NY 1911; A. BONAVENTURA, N. P., Modena 1911, Rom 31923, Neudruck Mailand 1939; J. KAPP, N. P., Bin 1913, Stuttgart
u. Bin "1954, nid. v. W. Landre, = Beroemde musici XIV, VGravenhage 1929; G. KINSKY, Kat. d. Musikhist. Museums v. W. Heyer
IV, Köln 1916, S. 402-447; J. PULVER, P., London 1936; R. DE SAUSSINE, P., Paris 1938, Neudruck Genf 1950, engl. NY (1954),
schwedisch Stock-holm 1955, ital. Mailand 1958; M. TIBALDI CHIESA, P., (Mailand 1940,41947); I. PIZZETTI, N. P., Turin 1940; B.
DE MIRAMON FITZ-JAMES, P. ä Marseiile, Marseiile 1941; H. SPIVACKE, Paganiniana, Washington 1945; G. WEIDMANN, Die Violintechnik
P.s, Diss. Bin Hum-boldt-Univ. 1950 (maschr.); T. VALENSI, P., Nizza 1950; F. FARGA, P., Der Roman seines Lebens, Rüschlikon-Zürich
(1950); A. MELL, Paganiniana in the Muller Collection of the New York Public Library, in MQ XXXIX, 1953; Paganiniana, hrsg. v. Inst.
Colombiano, Mailand 1953; E. N. DORING, A Falsed and an Authentic Portrait of N. P., in: Violins and Violinists XV, 1954, deutsch
in: Musica IX, 1955; G. I. C. DE COURCY, P.: the Genoese, Norman (Oklahoma, 1957).
Quelle: Riemann Musiklexikon, B. Schott´s Söhne, Mainz
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